von Virginia Mueller –
Letzten Monat war in einer renommierten Pferdezeitschrift wieder einmal ein Artikel über das vielbesprochene Thema „Anlehnung in der Pferdeausbildung“. Der Artikel war sachlich sehr gut und doch habe ich mich an vielen Stellen geärgert. Und zwar über die immer wieder kehrende Forderung nach konstanter Anlehnung im Gegensatz zu einem springenden Zügel.
Es ist eine unbestrittene Tatsache, dass man sich im Laufe der Pferdeausbildung irgendwann einmal mit dem Thema Anlehnung beschäftigen muss, unabhängig von der Reitweise. (Wie schon J.-C. Dysli treffend bemerkte: Wir reiten Pferde und keine Reitweisen.)
Kleine Zusammenfassung zur Anlehnung: Stark vereinfacht ausgedrückt signalisiert die begrenzende Zügelhilfe der Vorhand „warte schnell und hör auf meine treibende Hilfe“, worauf das Pferd die Hinterhand vermehrt unter seinen Schwerpunkt bringt. In dem Moment erhöht sich einerseits die Tragkraft der Hinterhand, der Rücken wölbt sich hoch und das Pferd wird vorne leicht und locker im Genick. Ist der Reiter aufmerksam und hat einen zügelunabhängigen Sitz, wird er in dem Moment, wo er das spürt, seinerseits leicht in der Hand. Dies hat zur Folge, dass sich die Zügellänge um 0.5 – 2cm (mindestens) verlängert. Im Idealfall, wenn das ganze für das Pferd logisch aufgebaut wurde, es genug Vertrauen zum Reiter und der Reiterhand hat, wird sich das Pferd, gut unterstützt von der eigenen Hinterhand und locker im Rücken und Hals, an die Hand heran dehnen.
Habe ich nun einen beispielhaften Reiter, wie oben beschrieben, wird es immer Momente geben, wo der Zügel „springt“. Zwischen dem Moment wo das Mensch in der Hand leicht wird und dem Moment wo sich das Pferd an die erwartende (passiv) Hand heran dehnt, liegt zumindest am Anfang der Ausbildung ein zeitlicher Abstand. Das Endziel der Ausbildung von Pferd und Reiter in Bezug auf die Anlehnung liegt bei einem kleinstmöglichen, kaum wahrnehmbaren zeitlichen Abstand. (Aber da sein wird er auch dann.)
Das wird dem Reitschüler, bzw. dem dem Leser des oben genannten Artikels jedoch nicht aufgezeigt.
Verlangt wird eine konstante Verbindung zum Pferdemaul. Worauf dem guterzogenen Reitschüler nichts anderes übrig bleibt, als eine konstante Spannung im Arm und der Schulter aufzubauen, damit dieses weich werden lassen der Hand nach der halben Parade (die angesprochenen 0.5 – 2cm) aufgefangen werden kann. Klar, der Reitlehrer hat sicher auch mal erwähnt, dass die Hand nachgiebig und weich sein soll. Aber dann funktioniert das mit der Konstanz nicht. Zusätzlich ist ein lockerer Zügel für den Reitlehrer einfacher zu erkennen, als verspannte Schultermuskulatur. Erschwerend kommt dazu, dass festmachen/festhalten von Muskulatur für uns Menschen viel einfacher ist als loslassen. Da der menschliche Körper ein zusammenhängender Organismus ist, zieht sich die Verspannung des Armmuskels weiter in den Schultergürtel, die Brustmuskulatur und endet beim Hüftbeuger. Ein losgelassener Sitz ist nicht mehr möglich.
Wenn das erst einmal so eingeübt ist beim Reiter, dann wird er dieses Muster auch so schnell nicht wieder los. Was sehr schade ist. Denn mit einem verspannten Reiter fällt es den Pferden schwer, locker und durchlässig zu gehen. Worauf der Reiter entweder treiben muss ohne Ende, damit das mit dem runden Hals wenigstens optisch doch noch klappt oder bremsen, wenn das Pferd vor lauter widersprüchlichen Hilfen Stress bekommt.
Abgesehen davon ist es mir ein Anliegen, dass ich dem Pferd als Folge meiner Hilfen immer wieder sagen kann: „So ist es gut – und jetzt probiers alleine“ – bis zu dem Moment, wo das Pferd die ideale Haltung/Bewegung verliert und ich als Reiter mit meinen Hilfen unterstützend eingreife. Auch das ist nicht möglich mit der konstanten, rückwärts einwirkenden Muskelspannung.
In vielen Reitweisen ist ein versammeltes Reiten am langen Zügel das Ziel, die Anlehung nur durch das Eigengewicht des Zügels vorhanden und ein aufmerksames Pferd, das auf feinste Sitz- und Schenkelhilfen reagiert.
Das ist keine Aufforderung, die Zügel hin zu schmeissen. Aber ein Plädoyer dafür, lieber einmal mehr die Hand leicht werden zu lassen, als unter allen Umständen die konstante Anlehnung zu erhalten.